Offene Kolloquien finden an jedem 2. Samstag eines Monats um 13 Uhr an der Technischen
Universität Berlin statt. Die Präsenztermine bilden einen Rahmen, in dem Konzepte und Ideen
präsentiert werden können. Darüber hinaus wird jeweils ein Text diskutiert, der die
Mitglieder des Forschungskollegs (im Sinne von Niklas Luhmann) irritieren soll.
Interessierte sind herzlich eingeladen.
Virtuelles Kolloquium
Es besteht die Möglichkeit der Teilnahme am Kolloquium über eine Konferenzschaltung, die mit
Hilfe von Skype (VoIP) hergestellt werden kann. Das Kolloquium ist am jeweils angegebenen
Termin als Kontakt gesellschaft.und.kontingenz zu erreichen. Die Teilnahme steht
allen offen und ist selbstverständlich kostenlos.
19. Oktober 2013 – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1998. Kaptitel 1.I und 1.II.
Für die nächsten Kolloquien hat sich das Forschungskolleg die Aufgabe gestellt, ein
umfangreicheres Werk von Niklas Luhmann in kleinen Häppchen zu bearbeiten: Wir setzen uns
intensiv mit dem Buch Die Gesellschaft der Gesellschaft auseinander.
Da die jeweils behandelten Einzelpassagen das über mehrere Jahrzehnte erarbeitete Wissen
Luhmanns in einer sehr kondensierten Form wiederspiegeln und an den Präsenzterminen
entsprechend selektiv bearbeitet werden müssen, sind die Teilnehmer explizit aufgefordert,
eigene Schwerpunkte anhand individueller Interessen zu setzen. Hierzu sollen Einfälle oder
Fragen schon während der Vorbereitung gesammelt und per E-Mail an das Forschungskolleg
übersandt werden. Aus den Zuschriften wird dann ein Ablauf erstellt, an dem sich das
Kolloquium (wie immer: mit aller nötigen Flexibilität) orientiert.
Durch diesen Schritt wird das Kolloquium zum Luhmann-Lektürekurs und erweitert damit den
potenziellen Interessentenkreis. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen. Es ist
– obgleich von Vorteil – auf Grund der thematischen Gliederung des Gesamttextes
nicht notwendig, an allen Terminen anwesend zu sein, um nicht den Anschluss zu verlieren.
Auch eine unregelmäßige Teilnahme ist ohne Weiteres möglich.
14. September 2013 – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Veränderungen im System gesellschaftlicher Kommunikation und die Massenmedien. In: Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation. 5. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009. S. 355-368.
Die „gesellschaftliche Primärfunktion (der Massenmedien) liegt in der Beteiligung aller
an einer gemeinsamen Realität oder, genauer gesagt, in der Erzeugung einer solchen
Unterstellung, die dann als operative Fiktion sich aufzwingt und zur Realität wird.“
(S. 367)
Und ganz nebenbei entwickelt sich dabei eine Weltgesellschaft, also ein globaler
Kommunikationszusammenhang, der sich über alle gesellschaftlichen Funktionsbereiche
erstreckt. Es entstehen Strukturen, die wie selbstverständlich gegen ihre eigene
Unwahrscheinlichkeit wirksam sind – und dies ganz ohne eine prinzipielle Verpflichtung
zum Konsens, dem sich – wie Habermas es sich einst erträumt hatte – zumindest
das vernünftige Publikum nicht entziehen könne. Ohne normativen Trotz stellt Luhmann
diesbezüglich fest: „Die Welt kann nicht auf den Soziologen warten, sie hat ihre
Probleme immer schon gelöst.“ (S. 363) Wir wollen nachsehen, woher diese
systemtheoretische Gelassenheit rührt und zugleich fragen, ob sich mit dem Internet
möglicherweise entscheidende Veränderungen ergeben, die eine neuerliche Aufregung
rechtfertigen würden.
22. Juni 2013 – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Ökologie des Nichtwissens. In: Beobachtungen der Moderne. Opladen: Westdeutscher Verlag 1992. S.149-220.
„Wir haben bereits eine Kultur der Ziele suchenden Besorgnis, um nicht zu sagen: der
gepflegten Angst.“ (A.a.O., S. 202)
Die moderne Gesellschaft hat sich über das System der Massenmedien und die politische
Entfesselung sozialer Bewegungen wie keine andere Gesellschaft zuvor für ökologische Fragen
sensibilisiert. An der Entwicklung zahlreicher aktueller oder auch nur befürchteter
Schwierigkeiten ist sie – nicht nur aber auch – durch den technologischen Fortschritt
zumeist direkt beteiligt: Erhebliche Probleme ergeben sich aus den Unwägbarkeiten
hochkomplexer Zusammenhänge zwischen spezifischen Ursachen und bestimmten Wirkungen und
möglichen Schäden für eine Umwelt, auf deren Erhaltung die Autopoiesis der Kommunikation auf
Grund ihrer strukturellen Kopplung mit dem Menschen (Bewusstsein) unbedingt angewiesen
ist.
„Die Auslöschung des gesamten menschlichen Lebens heißt auf jeden Fall: Funkstille, Ende
aller Kommunikation, Ende der Gesellschaft. Unter solchen Perspektiven kann man organische,
psychische und soziale Systeme nicht trennen. Mehr noch als jede humanistische Tradition
faßt heute die ökologische Perspektive Gesellschaft und Menschen, wenn nicht zu einem
Begriff, so doch zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen.“ (A.a.O., S. 163)
Die Risiken sind zugleich unvermeidlich und sehr besorgniserregend. Es ist deshalb kaum
verwunderlich, dass die Notlagen (Waldsterben, Ozonloch, Klimaerwärmung, Artensterben)
dauernd aufgefrischt und mit Forderungen nach einer neuen Ethik – zum Beispiel unter dem
Begriff Nachhaltigkeit – kombiniert werden. Aber kann Moral in diesem Zusammenhang
tatsächlich erfolgreich sein? Ist es überhaupt förderlich, Unsicherheiten, die auf Grund von
irreduziblen Komplexitätslagen zwangsläufig entstehen und nur noch Rechnungen mit
Wahrscheinlichkeiten zulassen, durch die Kommunikation von Werturteilen (oder anders) zu
verdecken? In seinem Text Ökologie des Nichtwissens expliziert Luhmann, weshalb es
sinnvoll sein könnte, durch die Akzeptanz von Intransparenz die Fähigkeit zu steigern, auf
Unvorhergesehenes reagieren zu können, und dass die Gesellschaft längst dabei ist,
„Denkfiguren (zu) entwickel(n), mit denen sie die Unbeobachtbarkeit der Welt aushalten und
Intransparenz produktiv werden lassen kann.“ (A.a.O., S. 220)
Funktionale Differenzierung gilt nicht nur als das zentrale Alleinstellungsmerkmal moderner
Gesellschaften, sondern auch als eines der wenigen Felder wissenschaftlicher Ehre, auf denen
die Systemtheorie Gäste empfängt und nicht auswärts spielt. Als gute Gastgeberin spielt die
Theorie in Form dieses Beitrags mit der für die Sozialforschung nicht unerheblichen Frage,
wie Funktionssysteme bestimmt werden können und was aktuell als Kanon der Funktionssysteme
gelten kann. Der Beitrag geht zunächst knapp auf jene Systeme ein, die weitgehend
unangefochten als Funktionssysteme betrachtet werden. Im nächsten Schritt diskutiert er
mögliche Kriterien für den Funktionssystemstatus und entwickelt entlang der Konzepte
Reflexion, Leistung und Funktion einen Vorschlag zur Unterscheidung von
Nicht-/Funktionssystemen. Auf dieser Grundlage diskutiert er, welche
Funktionssystem-Kandidaten sich qualifizieren können und arbeitet so den Kanon der
Funktionssysteme heraus. Der Soziologie eröffnet sich schliesslich die Aussicht auf eine
systematisch betriebene interfunktional vergleichende Sozialforschung.
14. Juli 2012 – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Die Beschreibung der Zukunft. In: Beobachtungen der Moderne. Opladen: Westdeutscher Verlag 1992. S.129-147.
Angesichts eines sich immer weiter ausdifferenzierenden Wissens über die Welt und die
Gesellschaft ist es eigentlich schwer nachvollziehbar, wenn Luhmann in diesem Aufsatz
behauptet, dass wir heute – im Vergleich zu früheren Formen gesellschaftlicher
Differenzierung – „mit extrem verunsicherten Zukunftsperspektiven leben […].“
War nicht die Unsicherheit in vormodernen Gesellschaften viel ausgeprägter? Hatten nicht
deshalb Religion und Autorität so zentrale Funktionen übernommen? In dieser Sitzung wollen
wir klären, wie Luhmann zu dieser Einschätzung kommt und weshalb uns der verstärkte
Wissenserwerb möglicherweise immer auch mit einer wachsenden Unsicherheit in Bezug auf die
Zukunft belastet.
23. Juni – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Kontingenz als Eigenwert der modernen Gesellschaft. In: Beobachtungen der Moderne. Opladen: Westdeutscher Verlag 1992. S.93-128.
Der Blick auf Kontingenzen ist so eingeübt, daß er alle Suche nach Notwendigem,
nach Geltungen a priori, nach unverletzlichen Werten begleitet und in der Kontingenz dieser
Bemühung (die als Bemühung sichtbar wird) die Ergebnisse in Kontingentes transformiert
– das Midas-Gold der Moderne. (S.94)
Midas hatte bekanntlich durch eine List die Gabe erhalten, alles was er berührte in Gold zu
verwandeln – und hätte wohl der reichste Mann der Oberwelt, diesseits des Styx werden
können, wenn nicht die Gabe unmittelbar zum Fluch geworden wäre: Weil man Gold nicht essen
kann, drohte ihm nach kurzer Zeit der Hungertod und er musste die Goldglanz spendenden Hände
wieder reinwaschen. Wenn Luhmann Kontingenz als Eigenwert der modernen Gesellschaft mit
dieser Gabe vergleicht, stellt er also die Frage: Ob die moderne Gesellschaft sich (trotz)
fehlender sicherer Prinzipien stabilisieren könne oder ob ihre Autopoiesis etwa bedroht sei.
Welche Antwort er gibt, wollen wir uns in dieser Sitzung erarbeiten, jedoch nicht ohne vor
dem Hintergrund der Verbreitung des Internets als jüngstem Kommunikationsmedium zugleich die
Frage nach der Kontingenz dieser seiner Antwort zu stellen.
Aber Rationalität könnte, wenn man den alten Weltbezug des Begriffs festhalten
und die neuzeitlichen Derangierungen nicht mehr mitmachen will, wohl nur wiedergewonnen
werden, wenn man jene Gewohnheiten mit einem autologischen Schluß abrundet, sie also auch
auf den anwendet, der sie praktiziert, und sie damit universell setzt. Dann ginge es darum,
zu verstehen, daß man nicht versteht, was man nicht versteht, und Semantiken auszuprobieren,
die damit zurechtkommen. (S.90)
In den kommenden Sitzungen werden wir uns mit dem Buch Beobachtungen der Moderne
auseinandersetzen. Der Sammelband reiht sich ein in jene Liste von Luhmanns zahlreichen
Veröffentlichungen, deren Titel doppelt gelesen werden müssen. Einerseits bezieht er sich
auf das Thema der enthaltenen Texte: die moderne Gesellschaft mit ihrer Zentraleigenschaft
der funktionalen Differenzierung. Andererseits bedeutet er, dass die enthaltenen
Beschreibungen als Kommunikationen Teil der Gesellschaft und somit Beobachtungen einer
Moderne sind, die sich durch diese Texte selbst beschreibt. Dieser Sachverhalt
führte die traditionelle erkenntnistheoretische Diskussion in Paradoxieprobleme, die sie –
beaufsichtigt von der strengen Autorität der zweiwertigen Logik – unbedingt vermeiden
musste. Lieber opferte sie im Tempel der Wahrheit und der Rationalität leichtfertig ihre
Ansprüche an die Universalität der eigenen Theorie und floh vor sich selbst in den Glauben
an ein transzendentales Subjekt, den Weltgeist oder die Lebenswelt. Niklas Luhmann ist
frohen Mutes, dass die Moderne diese Furcht vor ihrem eigenen Schatten nun überwinden kann.
In Beobachtungen der Moderne ruft er ihr zu, sie solle sich selbstbewusst dem
Schrecken in ihrem Nacken stellen: Animum aude!
10. Dezember (Teil I), 14. Januar 2011 – 13 Uhr (Teil II)
Luhmann, Niklas: Das Moderne der modernen Gesellschaft. In: Beobachtungen der Moderne. Opladen: Westdeutscher Verlag 1992. S.11-50.
12. November 2011 – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Politische Soziologie. Hrsg. von André Kieserling. Berlin: Suhrkamp 2010. Kapitel 12.
An Begriffen wie Parteiprogramm, Wahlversprechen, Wählerbetrug und vielen weiteren,
die zur Beschreibung von politischen Sachverhalten benutzt werden, lässt sich beobachten,
dass ein modernes politisches System ganz offenbar nicht ohne Programmatik, also eine
Vorstrukturierung von Entscheidungsprozessen durch eine bestehende Wertordnung auskommen
kann. Ohne eine solche Strukturierung von Entscheidungsprozessen wäre Demokratie als
punktuelle Übertragung von Macht auf Zeit wohl kaum denkbar. Gleichzeitig zeigen solche
Begriffe jedoch auch an, dass die Entscheidung über eine Programmatik immer auch
Schwierigkeiten der Selbstbindung mit sich bringt, die dazu führen, dass die Programmatik
nicht strikt befolgt werden kann. Wertpräferenzen werden in bestimmten Situationen geändert,
bisweilen in kurzen Abständen hintereinander. Man beklagt dann gemeinhin Opportunismus und
stellt demgegenüber das Festhalten an der Programmatik als positiv und deshalb wünschenswert
dar. Die Unterscheidung von Programmatik und Opportunismus wird also benutzt, um zwei
Möglichkeiten zu markieren, die sich ausschließen und verleitet dazu, den Negativwert im
System tilgen zu wollen. Niklas Luhmann beobachtet in einem, diesem Problem gewidmeten
Kapitel seiner Schrift Politische Soziologie als Beobachter der Beobachter des
politischen Systems, was durch diese Unterscheidung aus dem Blick gerät und wie man
alternativ beschreiben könnte, weshalb die Tilgung nicht gelingt, ja weshalb sie nicht
einmal wünschenswert ist.
System- und Netzwerktheorie nehmen (nicht nur) im Bereich Soziologie eine zunehmend
wichtigere Rolle als (Selbst-)Beschreibungsoptionen der Gesellschaft ein. Beide sind im
Vergleich zur Tradition des Fachbereichs sehr junge Theoriekonzeptionen und beide
entwickelten sich – folgt man der Beschreibung von Dirk Baecker – gewissermaßen
co-evolutiv zu den „Neuen Medien“. Während es in der Netzwerktheorie vor allem
um die Frage nach sozialer Kontrolle und Identität geht, beschäftigt sich die Systemtheorie
mit autonomen, autopoietisch sich entwickelnden Systemen, die von ihrer jeweiligen Umwelt
immer nur irritiert, aber nicht gesteuert werden können. Wie lässt sich dieser Konflikt
erklären und ist er theoretisch plausibel zu lösen? Es wird sich zeigen, dass die
Entwicklung beider Theorien noch enger mit der Entwicklung des Internets und des Computers
zusammenhängen, als Baecker zu behaupten wagt. Und wir werden sehen, dass sich der
Unterschied zwischen ihnen durch eine Integration medienwissenschaftlicher Analysen
aufzulösen scheint.
14. Mai 2011 – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Temporalization of Complexity. In: Sociocybernetics. An actor-oriented social systems approach. Hrsg. von Geyer, Felix R. und Johannes van der Zouwen. Leiden, Boston, London: Martinus Nijhoff Social Sciences Division (Bd.2). S.95-111.
Die Zeit läuft. Systeme erleben die Welt nicht als sich wiederholende Struktur. Ihnen fehlen
dazu Informationen, durch deren Verarbeitung die Komplexität ihrer Umwelt als konditioniert
erscheinen könnte. Deshalb beobachten Systeme überwiegend Prozesse, also Irreversibilitäten,
wenn sie fremdreferenziell zuschreiben. In dem genannten Aufsatz beschreibt Luhmann, welche
(nur im ersten Moment) erstaunlichen Rückwirkungen dieser Zustand auf die betreffenden
Systeme selbst hat: sie müssen sich selbst instabilisieren, um Stabilität zu erreichen.
09. April 2011 – 13 Uhr
Das Forschungskolleg Gesellschaft und Kontingenz wird 1 Jahr alt. Aus diesem feierlichen
Anlass verzichten wir auf die Exegese und schauen gemeinsam den Vortrag Gibt es in
unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen? an, den Luhmann am 12.11.1991 im
Hospitalhof Stuttgart gehalten hat.
12. März 2011 – 13 Uhr
Luhmann, Niklas 1994. Die Gesellschaft und ihre Organisationen. In: Systemrationalität und Partialinteresse. Festschrift für Renate Mayntz. Hrsg. von Derlien, Hans-Ulrich u.a. Baden-Baden: Nomos 1994. S.189-201.
In dem Artikel Gesellschaft und ihre Organisationen aus dem Jahr 1994 versucht
Luhmann folgende Fragen zu klären: „Kann man sagen, daß Organisationen ein anderer
Gegenstand sind als die Gesellschaft und ihre Teilsysteme, obwohl es doch in all diesen
Teilsystemen von Organisationen nur so wimmelt und organisationsfreie Interaktionen, die
sich gleichwohl einem Teilsystem der Gesellschaft ausschließlich zuordnen lassen, schwer zu
entdecken sind? Worin besteht eigentlich der Unterschied dieser Systemformen? Und: wieso
scheinen sie aufeinander angewiesen zu sein?“ Antworten gibt Luhmann mit der
Einführung der Differenz Inklusion/Exklusion, mit der Beschreibung von Organisation als
Verdichtung von struktureller Kopplung zwischen Funktionssystemen und mit der Beobachtung,
dass gesamtgesellschaftliche Vorgaben an Bedeutung verloren haben und durch
organisationsinterne Rücksichten auf Außenbedingungen ersetzt worden sind. Was genau damit
gemeint ist, werden wir im Kolloquium untersuchen. Dabei wird uns helfen, dass der Text
– ganz im Gegensatz zu vielen anderen nach der autopoietischen Wende – viele
Beispiele enthält.
12. Februar 2011 – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1994. Kapitel 15 und 16.
„Liebe ist…ein semantischer Code“, sagt Luhmann mit seinem Werk Liebe als Passion. Zur
Codierung von Intimität. Was zunächst so ungelenk formuliert klingt, soll nichts
anderes bedeuten als: die Vorstellungen von Liebe geben jeweils vor, wie zu lieben sei
und ändern sich im Laufe der Zeit. Während in vormodernen Gesellschaften durch
Autorität geregelt wurde, was im Zusammenhang mit Liebe zu beachten war, finden wir laut
Luhmann heute eine Situation vor, in der diese Orientierung nicht mehr gegeben ist. Im
Kolloquium wollen wir überprüfen, welche Argumente Luhmann für diese Diagnose liefert und
die Frage stellen, welche Chancen und Risiken das Internet für die Semantik bietet.
08. Januar 2011 – 13:00 Uhr
Luhmann, Niklas: Systemtheorie und Protestbewegungen. Ein Interview. In: Protest: Systemtheorie und soziale Bewegungen. Hrsg. von Kai-Uwe Hellmann. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1996. S.175-200.
In diesem Interview, das Kai-Uwe Hellmann mit Luhmann im Jahre 1994 führte, stehen
Protestbewegungen und ihre Einordnung in die soziologische Theorie sozialer Systeme im
Mittelpunkt. Erörtert werden dabei sowohl die Form von sozialen Bewegungen als
autopoietische Systeme als auch ihre Funktion für die Gesellschaft. In diesem Zusammenhang
relevant sind Begriffe und Unterscheidungen wie Angst, Risiko, Inklusion/Exklusion und
Protestbewegungen als Immunsystem der Gesellschaft. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob
Protest möglicherweise die Deutlichkeit eines Funktionssystems annimmt und natürlich: welche
Zukunft Luhmann Protestbewegungen beimaß und welche sie aus heutiger Perspektive haben.
04. Dezember 2010 – 13:00 Uhr
Luhmann, Niklas: Zur Komplexität von Entscheidungssituationen. In: Soziale Systeme 15 (2009) H.1. S.3-35.
In diesem bis 2009 unveröffentlichten Aufsatz aus dem Jahr 1973 versucht sich der frühe
Luhmann an einer systemtheoretischen Fassung der Begriffe Handlung,Entscheidung
und Rationalität und daran anschließend an einer theoretischen Kombination der
Ergebnisse im Hinblick auf die Möglichkeiten ihrer Operationalisierung. Der Wille zur
Anwendung der eigenen Theorie in der sogenannten Praxis und die Unterwerfung des Textes
unter diese Anforderung spiegeln sehr gut wider, mit welcher Kritik Luhmann nicht nur in der
Frühphase seiner wissenschaftlichen Laufbahn konfrontiert war und gegen die er sich erst
allmählich indifferent zu verhalten wagte. Wir vermuten, dass die Entscheidung zur
Nicht-Veröffentlichung des Aufsatzes bereits ein Hinweis auf dieses Wagnis ist – und dass
wir im Text Spuren eines an sich selbst wachsenden Theorieselbstvertrauens finden können.
Der Text wird auf 6 Termine aufgeteilt.
Teil VI: 13. November 2010 – 13:00 Uhr (Kapitel 10 – 12)
Luhmann, Niklas: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. 4. Aufl. Stuttgart: Lucius & Lucius 2009.
Sieht man von Vertrauen als Zutrauen in Bezug auf die Welt und ihr Fortbestehen als einer
Umwelt, in der wir physisch überleben können, sieht man von dieser, für eine
motivierende (Über-)Lebenssicherheit unabdingbaren Grundvoraussetzung
einmal ab, richtet sich Vertrauen vor allem auf das Verhalten autopoietischer
Systeme. Vertrauen drückt sich aus in Erwartungsstrukturen, die ein System
bildet, um die hohe Komplexität kontingenter Verhaltensmöglichkeiten anderer
Systeme sinnvoll zu reduzieren. Vertrauen im soziologischen Zusammenhang
lässt sich dann beschreiben als eine optimistische Erwartungshaltung gegenüber
dem Fortbestand von Kommunikation; und das wiederum ist nichts anderes, als die
Erwartung, daß die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation häufig genug in
Wahrscheinlichkeit transformiert und genau dadurch motiviert wird. In Vertrauen.
Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, beobachtet
Luhmann, welche Möglichkeiten Vertrauen in unterschiedlich ausdifferenzierten
Gesellschaften hat und welche Anpassungsleistungen mit der Entwicklung von
zusätzlichen Verbreitungsmedien notwendig werden. Vor dem Hintergrund des
jüngsten Verbreitungsmediums Internet wollen wir uns fragen, welche
Anpassungen nun vorstell- und beobachtbar sind.
18. Mai 2010 – 14:00 Uhr
Luhmann, Niklas: Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen? In: Soziologische Aufklärung 4. Hrsg. von Detlef Horster. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2008. S.228–252.
Selbstverständlich ist die Frage, die Luhmann im Titel einer im Jahr 1992 gehaltenen Rede
stellt, eine rhetorische – natürlich gibt es in der modernen Gesellschaft keine
unverzichtbaren Normen mehr, also solche, die unzweifelhaft an der Spitze einer
Normhierarchie stünden: Normen sind, wie alle anderen Formen auch, kontingent, und d.h.
immer auch anders möglich. Deshalb regelt die moderne Gesellschaft nicht mehr ihre konkreten
Inhalte, sondern nur noch diejenigen Verfahren, in denen sie bestimmt werden. Durch diese
Normierung der Normierung eröffnet sie einen Horizont demokratischer Möglichkeiten, und
versucht gleichzeitig zu verhindern, dass Einzelne unverhältnismäßig hohen inhatlichen
Einfluss ausüben können. Das erscheint vernünftig und für Demokratien die einzige Option zu
sein.
Und dennoch kann man sich Ereignisse vorstellen, für die eine Normierung der Normierung
nicht vorgesehen ist, auf die keine Regel im Sinne von „Was ist zu tun?“ oder
„Wer entscheidet?“ angewendet werden kann. Manche Staatstheoretiker
bezeichnen das als einen Ausnahmezustand, der eine souveräne Entscheidung
erfordert. Und dieser Ausnahmezustand ist es, dieser unwahrscheinliche, aber immerhin
mögliche Moment, in dem keine angeleitete Entscheidung mehr möglich ist, der die Frage nach
einer Hierarchie von Normen plötzlich sehr akut werden lässt: Gibt es also unverzichtbare
Normen, derer man sich im Ausnahmezustand bedienen könnte?
20. April 2010 – 14:00 Uhr
Luhmann, Niklas: Lässt unsere Gesellschaft Kommunikation mit Gott zu? In: Soziologische Aufklärung 4.Opladen: Westdeutscher Verlag 1987. S.227–235.
Gott als Kommunikationspartner ist eine gängige religiöse Vorstellung.
Systemtheoretisch impliziert sie, dass Gott erstens versteht, also zwischen
Information und Mitteilung unterscheiden kann, und dass ihm zweitens
Kommunikationsofferten zugerechnet, also Absichten unterstellt werden
können. Mit diesen beiden Voraussetzungen hat Religion offensichtlich
überhaupt keine Schwierigkeiten.
Allerdings wissen wir, dass Kommunikation ausschließlich in der Gesellschaft
stattfinden kann. Wenn Gott aber kommuniziert, müsste er sich innerhalb der Grenzen
der Gesellschaft befinden und wäre demnach keine transzendente Entität. Das
Kommunikationsproblem mit Gott besteht genau genommen in einer Paradoxie: Nimmt
er an Kommunikation teil, ist es nicht Gott. Ist es Gott, nimmt er nicht an
Kommunikation teil.
27. März 2010 – 13:00 Uhr
Luhmann, Niklas: Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beiteiligt? In: Aufsätze und Reden. Hrsg. von Oliver Jahraus. Stuttgart: Reclam 2001. S.111–136.
“Aber Menschen können nicht kommunizieren, nicht einmal ihre Gehirne können
kommunizieren, nicht einmal das Bewußtsein kann kommunizieren. Nur die
Kommunikation kann kommunizieren.”
Dies ist die vermutlich bekannteste These der Systemtheorie Luhmannscher Prägung
– prominent genug, dass man zu Recht schon von einem Gemeinplatz sprechen kann.
Und sie ist zugleich eine polarisierende: scharenweise schrecken nicht nur
Soziologen vor der Systemtheorie zurück, weil diese den Menschen in der Umwelt der
Gesellschaft verortet. Aber ist diese Furcht begründet und ist ihr Reflex: eine
Kritik der Systemtheorie als antihumanistisch berechtigt? Luhmann selbst
liefert die Antwort auf diese Frage, der wir uns in dieser Sitzung annähern wollen.
Es besteht eine realistische Hoffnung, dass wir mit Verblüffung reagieren werden.
6. März 2010 – 13:00 Uhr
Luhmann, Niklas: Dekonstruktion als Beobachtung Zweiter Ordnung. In: Aufsätze und Reden. Hrsg. von Oliver Jahraus. Stuttgart: Reclam 2001. S.262 – 296.
Luhmann beschreibt in diesem Text die Dekonstruktion von Jacques Derrida als Beobachtung
zweiter Ordnung, die ihre Methode reflexiv auf sich selbst anwendet. Einer solchen
Konsequenz unterwirft sich auch die Systemtheorie: worin besteht also der Unterschied
zwischen den beiden Theoretikern?
13. Februar 2010 – 13:00 Uhr
Luhmann, Niklas: Jenseits von Barbarei. In: Gesellschaftsstruktur und Semantik.
Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Band 4. Frankfurt/Main: 1999. S.
138 – 150.
Luhmann beobachtet in diesem Text die Unterscheidung von Inklusion/Exklusion und welche Rolle
sie in der modernen Gesellschaft spielt; einer Gesellschaft, die einerseits Totalinklusion
fordert und andererseits unzählige Ausgeschlossene hervorbringt. In diesem Text verarbeitet
Luhmann diejenigen Eindrücke, die ihm die Favelas südamerikanisher Großstädte vermittelt
haben. Die entscheidende Frage: kapituliert Luhmann vor diesem Widerspruch oder ist die
Systemtheorie fähig, solche abweichenden Beobachtungen zu integrieren?
Agenda
Offene Kolloquien finden an jedem 2. Samstag eines Monats um 13 Uhr an der Technischen Universität Berlin statt. Die Präsenztermine bilden einen Rahmen, in dem Konzepte und Ideen präsentiert werden können. Darüber hinaus wird jeweils ein Text diskutiert, der die Mitglieder des Forschungskollegs (im Sinne von Niklas Luhmann) irritieren soll. Interessierte sind herzlich eingeladen.
Virtuelles Kolloquium
Es besteht die Möglichkeit der Teilnahme am Kolloquium über eine Konferenzschaltung, die mit Hilfe von Skype (VoIP) hergestellt werden kann. Das Kolloquium ist am jeweils angegebenen Termin als Kontakt gesellschaft.und.kontingenz zu erreichen. Die Teilnahme steht allen offen und ist selbstverständlich kostenlos.
19. Oktober 2013 – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1998. Kaptitel 1.I und 1.II.
Für die nächsten Kolloquien hat sich das Forschungskolleg die Aufgabe gestellt, ein umfangreicheres Werk von Niklas Luhmann in kleinen Häppchen zu bearbeiten: Wir setzen uns intensiv mit dem Buch Die Gesellschaft der Gesellschaft auseinander.
Da die jeweils behandelten Einzelpassagen das über mehrere Jahrzehnte erarbeitete Wissen Luhmanns in einer sehr kondensierten Form wiederspiegeln und an den Präsenzterminen entsprechend selektiv bearbeitet werden müssen, sind die Teilnehmer explizit aufgefordert, eigene Schwerpunkte anhand individueller Interessen zu setzen. Hierzu sollen Einfälle oder Fragen schon während der Vorbereitung gesammelt und per E-Mail an das Forschungskolleg übersandt werden. Aus den Zuschriften wird dann ein Ablauf erstellt, an dem sich das Kolloquium (wie immer: mit aller nötigen Flexibilität) orientiert.
Durch diesen Schritt wird das Kolloquium zum Luhmann-Lektürekurs und erweitert damit den potenziellen Interessentenkreis. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen. Es ist – obgleich von Vorteil – auf Grund der thematischen Gliederung des Gesamttextes nicht notwendig, an allen Terminen anwesend zu sein, um nicht den Anschluss zu verlieren. Auch eine unregelmäßige Teilnahme ist ohne Weiteres möglich.
14. September 2013 – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Veränderungen im System gesellschaftlicher Kommunikation und die Massenmedien. In: Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation. 5. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009. S. 355-368.
Die „gesellschaftliche Primärfunktion (der Massenmedien) liegt in der Beteiligung aller an einer gemeinsamen Realität oder, genauer gesagt, in der Erzeugung einer solchen Unterstellung, die dann als operative Fiktion sich aufzwingt und zur Realität wird.“ (S. 367)
Und ganz nebenbei entwickelt sich dabei eine Weltgesellschaft, also ein globaler Kommunikationszusammenhang, der sich über alle gesellschaftlichen Funktionsbereiche erstreckt. Es entstehen Strukturen, die wie selbstverständlich gegen ihre eigene Unwahrscheinlichkeit wirksam sind – und dies ganz ohne eine prinzipielle Verpflichtung zum Konsens, dem sich – wie Habermas es sich einst erträumt hatte – zumindest das vernünftige Publikum nicht entziehen könne. Ohne normativen Trotz stellt Luhmann diesbezüglich fest: „Die Welt kann nicht auf den Soziologen warten, sie hat ihre Probleme immer schon gelöst.“ (S. 363) Wir wollen nachsehen, woher diese systemtheoretische Gelassenheit rührt und zugleich fragen, ob sich mit dem Internet möglicherweise entscheidende Veränderungen ergeben, die eine neuerliche Aufregung rechtfertigen würden.
22. Juni 2013 – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Ökologie des Nichtwissens. In: Beobachtungen der Moderne. Opladen: Westdeutscher Verlag 1992. S.149-220.
„Wir haben bereits eine Kultur der Ziele suchenden Besorgnis, um nicht zu sagen: der gepflegten Angst.“ (A.a.O., S. 202)
Die moderne Gesellschaft hat sich über das System der Massenmedien und die politische Entfesselung sozialer Bewegungen wie keine andere Gesellschaft zuvor für ökologische Fragen sensibilisiert. An der Entwicklung zahlreicher aktueller oder auch nur befürchteter Schwierigkeiten ist sie – nicht nur aber auch – durch den technologischen Fortschritt zumeist direkt beteiligt: Erhebliche Probleme ergeben sich aus den Unwägbarkeiten hochkomplexer Zusammenhänge zwischen spezifischen Ursachen und bestimmten Wirkungen und möglichen Schäden für eine Umwelt, auf deren Erhaltung die Autopoiesis der Kommunikation auf Grund ihrer strukturellen Kopplung mit dem Menschen (Bewusstsein) unbedingt angewiesen ist.
„Die Auslöschung des gesamten menschlichen Lebens heißt auf jeden Fall: Funkstille, Ende aller Kommunikation, Ende der Gesellschaft. Unter solchen Perspektiven kann man organische, psychische und soziale Systeme nicht trennen. Mehr noch als jede humanistische Tradition faßt heute die ökologische Perspektive Gesellschaft und Menschen, wenn nicht zu einem Begriff, so doch zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen.“ (A.a.O., S. 163)
Die Risiken sind zugleich unvermeidlich und sehr besorgniserregend. Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass die Notlagen (Waldsterben, Ozonloch, Klimaerwärmung, Artensterben) dauernd aufgefrischt und mit Forderungen nach einer neuen Ethik – zum Beispiel unter dem Begriff Nachhaltigkeit – kombiniert werden. Aber kann Moral in diesem Zusammenhang tatsächlich erfolgreich sein? Ist es überhaupt förderlich, Unsicherheiten, die auf Grund von irreduziblen Komplexitätslagen zwangsläufig entstehen und nur noch Rechnungen mit Wahrscheinlichkeiten zulassen, durch die Kommunikation von Werturteilen (oder anders) zu verdecken? In seinem Text Ökologie des Nichtwissens expliziert Luhmann, weshalb es sinnvoll sein könnte, durch die Akzeptanz von Intransparenz die Fähigkeit zu steigern, auf Unvorhergesehenes reagieren zu können, und dass die Gesellschaft längst dabei ist, „Denkfiguren (zu) entwickel(n), mit denen sie die Unbeobachtbarkeit der Welt aushalten und Intransparenz produktiv werden lassen kann.“ (A.a.O., S. 220)
3. November 2012 – 13 Uhr
Roth, Steffen: Die zehn Systeme. Ein Beitrag zur Kanonisierung der Funktionssysteme.
Funktionale Differenzierung gilt nicht nur als das zentrale Alleinstellungsmerkmal moderner Gesellschaften, sondern auch als eines der wenigen Felder wissenschaftlicher Ehre, auf denen die Systemtheorie Gäste empfängt und nicht auswärts spielt. Als gute Gastgeberin spielt die Theorie in Form dieses Beitrags mit der für die Sozialforschung nicht unerheblichen Frage, wie Funktionssysteme bestimmt werden können und was aktuell als Kanon der Funktionssysteme gelten kann. Der Beitrag geht zunächst knapp auf jene Systeme ein, die weitgehend unangefochten als Funktionssysteme betrachtet werden. Im nächsten Schritt diskutiert er mögliche Kriterien für den Funktionssystemstatus und entwickelt entlang der Konzepte Reflexion, Leistung und Funktion einen Vorschlag zur Unterscheidung von Nicht-/Funktionssystemen. Auf dieser Grundlage diskutiert er, welche Funktionssystem-Kandidaten sich qualifizieren können und arbeitet so den Kanon der Funktionssysteme heraus. Der Soziologie eröffnet sich schliesslich die Aussicht auf eine systematisch betriebene interfunktional vergleichende Sozialforschung.
14. Juli 2012 – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Die Beschreibung der Zukunft. In: Beobachtungen der Moderne. Opladen: Westdeutscher Verlag 1992. S.129-147.
Angesichts eines sich immer weiter ausdifferenzierenden Wissens über die Welt und die Gesellschaft ist es eigentlich schwer nachvollziehbar, wenn Luhmann in diesem Aufsatz behauptet, dass wir heute – im Vergleich zu früheren Formen gesellschaftlicher Differenzierung – „mit extrem verunsicherten Zukunftsperspektiven leben […].“ War nicht die Unsicherheit in vormodernen Gesellschaften viel ausgeprägter? Hatten nicht deshalb Religion und Autorität so zentrale Funktionen übernommen? In dieser Sitzung wollen wir klären, wie Luhmann zu dieser Einschätzung kommt und weshalb uns der verstärkte Wissenserwerb möglicherweise immer auch mit einer wachsenden Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft belastet.
23. Juni – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Kontingenz als Eigenwert der modernen Gesellschaft. In: Beobachtungen der Moderne. Opladen: Westdeutscher Verlag 1992. S.93-128.
Midas hatte bekanntlich durch eine List die Gabe erhalten, alles was er berührte in Gold zu verwandeln – und hätte wohl der reichste Mann der Oberwelt, diesseits des Styx werden können, wenn nicht die Gabe unmittelbar zum Fluch geworden wäre: Weil man Gold nicht essen kann, drohte ihm nach kurzer Zeit der Hungertod und er musste die Goldglanz spendenden Hände wieder reinwaschen. Wenn Luhmann Kontingenz als Eigenwert der modernen Gesellschaft mit dieser Gabe vergleicht, stellt er also die Frage: Ob die moderne Gesellschaft sich (trotz) fehlender sicherer Prinzipien stabilisieren könne oder ob ihre Autopoiesis etwa bedroht sei. Welche Antwort er gibt, wollen wir uns in dieser Sitzung erarbeiten, jedoch nicht ohne vor dem Hintergrund der Verbreitung des Internets als jüngstem Kommunikationsmedium zugleich die Frage nach der Kontingenz dieser seiner Antwort zu stellen.
11. Februar – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Europäische Rationalität. In: Beobachtungen der Moderne. Opladen: Westdeutscher Verlag 1992. S.51-91.
In den kommenden Sitzungen werden wir uns mit dem Buch Beobachtungen der Moderne auseinandersetzen. Der Sammelband reiht sich ein in jene Liste von Luhmanns zahlreichen Veröffentlichungen, deren Titel doppelt gelesen werden müssen. Einerseits bezieht er sich auf das Thema der enthaltenen Texte: die moderne Gesellschaft mit ihrer Zentraleigenschaft der funktionalen Differenzierung. Andererseits bedeutet er, dass die enthaltenen Beschreibungen als Kommunikationen Teil der Gesellschaft und somit Beobachtungen einer Moderne sind, die sich durch diese Texte selbst beschreibt. Dieser Sachverhalt führte die traditionelle erkenntnistheoretische Diskussion in Paradoxieprobleme, die sie – beaufsichtigt von der strengen Autorität der zweiwertigen Logik – unbedingt vermeiden musste. Lieber opferte sie im Tempel der Wahrheit und der Rationalität leichtfertig ihre Ansprüche an die Universalität der eigenen Theorie und floh vor sich selbst in den Glauben an ein transzendentales Subjekt, den Weltgeist oder die Lebenswelt. Niklas Luhmann ist frohen Mutes, dass die Moderne diese Furcht vor ihrem eigenen Schatten nun überwinden kann. In Beobachtungen der Moderne ruft er ihr zu, sie solle sich selbstbewusst dem Schrecken in ihrem Nacken stellen: Animum aude!
10. Dezember (Teil I), 14. Januar 2011 – 13 Uhr (Teil II)
Luhmann, Niklas: Das Moderne der modernen Gesellschaft. In: Beobachtungen der Moderne. Opladen: Westdeutscher Verlag 1992. S.11-50.
12. November 2011 – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Politische Soziologie. Hrsg. von André Kieserling. Berlin: Suhrkamp 2010. Kapitel 12.
An Begriffen wie Parteiprogramm, Wahlversprechen, Wählerbetrug und vielen weiteren, die zur Beschreibung von politischen Sachverhalten benutzt werden, lässt sich beobachten, dass ein modernes politisches System ganz offenbar nicht ohne Programmatik, also eine Vorstrukturierung von Entscheidungsprozessen durch eine bestehende Wertordnung auskommen kann. Ohne eine solche Strukturierung von Entscheidungsprozessen wäre Demokratie als punktuelle Übertragung von Macht auf Zeit wohl kaum denkbar. Gleichzeitig zeigen solche Begriffe jedoch auch an, dass die Entscheidung über eine Programmatik immer auch Schwierigkeiten der Selbstbindung mit sich bringt, die dazu führen, dass die Programmatik nicht strikt befolgt werden kann. Wertpräferenzen werden in bestimmten Situationen geändert, bisweilen in kurzen Abständen hintereinander. Man beklagt dann gemeinhin Opportunismus und stellt demgegenüber das Festhalten an der Programmatik als positiv und deshalb wünschenswert dar. Die Unterscheidung von Programmatik und Opportunismus wird also benutzt, um zwei Möglichkeiten zu markieren, die sich ausschließen und verleitet dazu, den Negativwert im System tilgen zu wollen. Niklas Luhmann beobachtet in einem, diesem Problem gewidmeten Kapitel seiner Schrift Politische Soziologie als Beobachter der Beobachter des politischen Systems, was durch diese Unterscheidung aus dem Blick gerät und wie man alternativ beschreiben könnte, weshalb die Tilgung nicht gelingt, ja weshalb sie nicht einmal wünschenswert ist.
17. September 2011 – 13 Uhr
Baecker, Dirk: Systems, Network, and Culture In: Soziale Systeme 15 (2009).
S.271-287.
System- und Netzwerktheorie nehmen (nicht nur) im Bereich Soziologie eine zunehmend wichtigere Rolle als (Selbst-)Beschreibungsoptionen der Gesellschaft ein. Beide sind im Vergleich zur Tradition des Fachbereichs sehr junge Theoriekonzeptionen und beide entwickelten sich – folgt man der Beschreibung von Dirk Baecker – gewissermaßen co-evolutiv zu den „Neuen Medien“. Während es in der Netzwerktheorie vor allem um die Frage nach sozialer Kontrolle und Identität geht, beschäftigt sich die Systemtheorie mit autonomen, autopoietisch sich entwickelnden Systemen, die von ihrer jeweiligen Umwelt immer nur irritiert, aber nicht gesteuert werden können. Wie lässt sich dieser Konflikt erklären und ist er theoretisch plausibel zu lösen? Es wird sich zeigen, dass die Entwicklung beider Theorien noch enger mit der Entwicklung des Internets und des Computers zusammenhängen, als Baecker zu behaupten wagt. Und wir werden sehen, dass sich der Unterschied zwischen ihnen durch eine Integration medienwissenschaftlicher Analysen aufzulösen scheint.
14. Mai 2011 – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Temporalization of Complexity. In: Sociocybernetics. An actor-oriented social systems approach. Hrsg. von Geyer, Felix R. und Johannes van der Zouwen. Leiden, Boston, London: Martinus Nijhoff Social Sciences Division (Bd.2). S.95-111.
Die Zeit läuft. Systeme erleben die Welt nicht als sich wiederholende Struktur. Ihnen fehlen dazu Informationen, durch deren Verarbeitung die Komplexität ihrer Umwelt als konditioniert erscheinen könnte. Deshalb beobachten Systeme überwiegend Prozesse, also Irreversibilitäten, wenn sie fremdreferenziell zuschreiben. In dem genannten Aufsatz beschreibt Luhmann, welche (nur im ersten Moment) erstaunlichen Rückwirkungen dieser Zustand auf die betreffenden Systeme selbst hat: sie müssen sich selbst instabilisieren, um Stabilität zu erreichen.
09. April 2011 – 13 Uhr
Das Forschungskolleg Gesellschaft und Kontingenz wird 1 Jahr alt. Aus diesem feierlichen Anlass verzichten wir auf die Exegese und schauen gemeinsam den Vortrag Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen? an, den Luhmann am 12.11.1991 im Hospitalhof Stuttgart gehalten hat.
12. März 2011 – 13 Uhr
Luhmann, Niklas 1994. Die Gesellschaft und ihre Organisationen. In: Systemrationalität und Partialinteresse. Festschrift für Renate Mayntz. Hrsg. von Derlien, Hans-Ulrich u.a. Baden-Baden: Nomos 1994. S.189-201.
In dem Artikel Gesellschaft und ihre Organisationen aus dem Jahr 1994 versucht Luhmann folgende Fragen zu klären: „Kann man sagen, daß Organisationen ein anderer Gegenstand sind als die Gesellschaft und ihre Teilsysteme, obwohl es doch in all diesen Teilsystemen von Organisationen nur so wimmelt und organisationsfreie Interaktionen, die sich gleichwohl einem Teilsystem der Gesellschaft ausschließlich zuordnen lassen, schwer zu entdecken sind? Worin besteht eigentlich der Unterschied dieser Systemformen? Und: wieso scheinen sie aufeinander angewiesen zu sein?“ Antworten gibt Luhmann mit der Einführung der Differenz Inklusion/Exklusion, mit der Beschreibung von Organisation als Verdichtung von struktureller Kopplung zwischen Funktionssystemen und mit der Beobachtung, dass gesamtgesellschaftliche Vorgaben an Bedeutung verloren haben und durch organisationsinterne Rücksichten auf Außenbedingungen ersetzt worden sind. Was genau damit gemeint ist, werden wir im Kolloquium untersuchen. Dabei wird uns helfen, dass der Text – ganz im Gegensatz zu vielen anderen nach der autopoietischen Wende – viele Beispiele enthält.
12. Februar 2011 – 13 Uhr
Luhmann, Niklas: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1994. Kapitel 15 und 16.
„Liebe ist…ein semantischer Code“, sagt Luhmann mit seinem Werk Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Was zunächst so ungelenk formuliert klingt, soll nichts anderes bedeuten als: die Vorstellungen von Liebe geben jeweils vor, wie zu lieben sei und ändern sich im Laufe der Zeit. Während in vormodernen Gesellschaften durch Autorität geregelt wurde, was im Zusammenhang mit Liebe zu beachten war, finden wir laut Luhmann heute eine Situation vor, in der diese Orientierung nicht mehr gegeben ist. Im Kolloquium wollen wir überprüfen, welche Argumente Luhmann für diese Diagnose liefert und die Frage stellen, welche Chancen und Risiken das Internet für die Semantik bietet.
08. Januar 2011 – 13:00 Uhr
Luhmann, Niklas: Systemtheorie und Protestbewegungen. Ein Interview. In: Protest: Systemtheorie und soziale Bewegungen. Hrsg. von Kai-Uwe Hellmann. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1996. S.175-200.
In diesem Interview, das Kai-Uwe Hellmann mit Luhmann im Jahre 1994 führte, stehen Protestbewegungen und ihre Einordnung in die soziologische Theorie sozialer Systeme im Mittelpunkt. Erörtert werden dabei sowohl die Form von sozialen Bewegungen als autopoietische Systeme als auch ihre Funktion für die Gesellschaft. In diesem Zusammenhang relevant sind Begriffe und Unterscheidungen wie Angst, Risiko, Inklusion/Exklusion und Protestbewegungen als Immunsystem der Gesellschaft. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob Protest möglicherweise die Deutlichkeit eines Funktionssystems annimmt und natürlich: welche Zukunft Luhmann Protestbewegungen beimaß und welche sie aus heutiger Perspektive haben.
04. Dezember 2010 – 13:00 Uhr
Luhmann, Niklas: Zur Komplexität von Entscheidungssituationen. In: Soziale Systeme 15 (2009) H.1. S.3-35.
In diesem bis 2009 unveröffentlichten Aufsatz aus dem Jahr 1973 versucht sich der frühe Luhmann an einer systemtheoretischen Fassung der Begriffe Handlung, Entscheidung und Rationalität und daran anschließend an einer theoretischen Kombination der Ergebnisse im Hinblick auf die Möglichkeiten ihrer Operationalisierung. Der Wille zur Anwendung der eigenen Theorie in der sogenannten Praxis und die Unterwerfung des Textes unter diese Anforderung spiegeln sehr gut wider, mit welcher Kritik Luhmann nicht nur in der Frühphase seiner wissenschaftlichen Laufbahn konfrontiert war und gegen die er sich erst allmählich indifferent zu verhalten wagte. Wir vermuten, dass die Entscheidung zur Nicht-Veröffentlichung des Aufsatzes bereits ein Hinweis auf dieses Wagnis ist – und dass wir im Text Spuren eines an sich selbst wachsenden Theorieselbstvertrauens finden können.
Der Text wird auf 6 Termine aufgeteilt.
Teil VI: 13. November 2010 – 13:00 Uhr (Kapitel 10 – 12)
Luhmann, Niklas: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. 4. Aufl. Stuttgart: Lucius & Lucius 2009.
Sieht man von Vertrauen als Zutrauen in Bezug auf die Welt und ihr Fortbestehen als einer Umwelt, in der wir physisch überleben können, sieht man von dieser, für eine motivierende (Über-)Lebenssicherheit unabdingbaren Grundvoraussetzung einmal ab, richtet sich Vertrauen vor allem auf das Verhalten autopoietischer Systeme. Vertrauen drückt sich aus in Erwartungsstrukturen, die ein System bildet, um die hohe Komplexität kontingenter Verhaltensmöglichkeiten anderer Systeme sinnvoll zu reduzieren. Vertrauen im soziologischen Zusammenhang lässt sich dann beschreiben als eine optimistische Erwartungshaltung gegenüber dem Fortbestand von Kommunikation; und das wiederum ist nichts anderes, als die Erwartung, daß die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation häufig genug in Wahrscheinlichkeit transformiert und genau dadurch motiviert wird. In Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, beobachtet Luhmann, welche Möglichkeiten Vertrauen in unterschiedlich ausdifferenzierten Gesellschaften hat und welche Anpassungsleistungen mit der Entwicklung von zusätzlichen Verbreitungsmedien notwendig werden. Vor dem Hintergrund des jüngsten Verbreitungsmediums Internet wollen wir uns fragen, welche Anpassungen nun vorstell- und beobachtbar sind.
18. Mai 2010 – 14:00 Uhr
Luhmann, Niklas: Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen? In: Soziologische Aufklärung 4. Hrsg. von Detlef Horster. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2008. S.228–252.
Selbstverständlich ist die Frage, die Luhmann im Titel einer im Jahr 1992 gehaltenen Rede stellt, eine rhetorische – natürlich gibt es in der modernen Gesellschaft keine unverzichtbaren Normen mehr, also solche, die unzweifelhaft an der Spitze einer Normhierarchie stünden: Normen sind, wie alle anderen Formen auch, kontingent, und d.h. immer auch anders möglich. Deshalb regelt die moderne Gesellschaft nicht mehr ihre konkreten Inhalte, sondern nur noch diejenigen Verfahren, in denen sie bestimmt werden. Durch diese Normierung der Normierung eröffnet sie einen Horizont demokratischer Möglichkeiten, und versucht gleichzeitig zu verhindern, dass Einzelne unverhältnismäßig hohen inhatlichen Einfluss ausüben können. Das erscheint vernünftig und für Demokratien die einzige Option zu sein.
Und dennoch kann man sich Ereignisse vorstellen, für die eine Normierung der Normierung nicht vorgesehen ist, auf die keine Regel im Sinne von „Was ist zu tun?“ oder „Wer entscheidet?“ angewendet werden kann. Manche Staatstheoretiker bezeichnen das als einen Ausnahmezustand, der eine souveräne Entscheidung erfordert. Und dieser Ausnahmezustand ist es, dieser unwahrscheinliche, aber immerhin mögliche Moment, in dem keine angeleitete Entscheidung mehr möglich ist, der die Frage nach einer Hierarchie von Normen plötzlich sehr akut werden lässt: Gibt es also unverzichtbare Normen, derer man sich im Ausnahmezustand bedienen könnte?
20. April 2010 – 14:00 Uhr
Luhmann, Niklas: Lässt unsere Gesellschaft Kommunikation mit Gott zu? In: Soziologische Aufklärung 4.Opladen: Westdeutscher Verlag 1987. S.227–235.
Gott als Kommunikationspartner ist eine gängige religiöse Vorstellung. Systemtheoretisch impliziert sie, dass Gott erstens versteht, also zwischen Information und Mitteilung unterscheiden kann, und dass ihm zweitens Kommunikationsofferten zugerechnet, also Absichten unterstellt werden können. Mit diesen beiden Voraussetzungen hat Religion offensichtlich überhaupt keine Schwierigkeiten.
Allerdings wissen wir, dass Kommunikation ausschließlich in der Gesellschaft stattfinden kann. Wenn Gott aber kommuniziert, müsste er sich innerhalb der Grenzen der Gesellschaft befinden und wäre demnach keine transzendente Entität. Das Kommunikationsproblem mit Gott besteht genau genommen in einer Paradoxie: Nimmt er an Kommunikation teil, ist es nicht Gott. Ist es Gott, nimmt er nicht an Kommunikation teil.
27. März 2010 – 13:00 Uhr
Luhmann, Niklas: Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beiteiligt? In: Aufsätze und Reden. Hrsg. von Oliver Jahraus. Stuttgart: Reclam 2001. S.111–136.
“Aber Menschen können nicht kommunizieren, nicht einmal ihre Gehirne können kommunizieren, nicht einmal das Bewußtsein kann kommunizieren. Nur die Kommunikation kann kommunizieren.”
Dies ist die vermutlich bekannteste These der Systemtheorie Luhmannscher Prägung – prominent genug, dass man zu Recht schon von einem Gemeinplatz sprechen kann. Und sie ist zugleich eine polarisierende: scharenweise schrecken nicht nur Soziologen vor der Systemtheorie zurück, weil diese den Menschen in der Umwelt der Gesellschaft verortet. Aber ist diese Furcht begründet und ist ihr Reflex: eine Kritik der Systemtheorie als antihumanistisch berechtigt? Luhmann selbst liefert die Antwort auf diese Frage, der wir uns in dieser Sitzung annähern wollen. Es besteht eine realistische Hoffnung, dass wir mit Verblüffung reagieren werden.
6. März 2010 – 13:00 Uhr
Luhmann, Niklas: Dekonstruktion als Beobachtung Zweiter Ordnung. In: Aufsätze und Reden. Hrsg. von Oliver Jahraus. Stuttgart: Reclam 2001. S.262 – 296.
Luhmann beschreibt in diesem Text die Dekonstruktion von Jacques Derrida als Beobachtung zweiter Ordnung, die ihre Methode reflexiv auf sich selbst anwendet. Einer solchen Konsequenz unterwirft sich auch die Systemtheorie: worin besteht also der Unterschied zwischen den beiden Theoretikern?
13. Februar 2010 – 13:00 Uhr
Luhmann, Niklas: Jenseits von Barbarei. In: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Band 4. Frankfurt/Main: 1999. S. 138 – 150.
Luhmann beobachtet in diesem Text die Unterscheidung von Inklusion/Exklusion und welche Rolle sie in der modernen Gesellschaft spielt; einer Gesellschaft, die einerseits Totalinklusion fordert und andererseits unzählige Ausgeschlossene hervorbringt. In diesem Text verarbeitet Luhmann diejenigen Eindrücke, die ihm die Favelas südamerikanisher Großstädte vermittelt haben. Die entscheidende Frage: kapituliert Luhmann vor diesem Widerspruch oder ist die Systemtheorie fähig, solche abweichenden Beobachtungen zu integrieren?